Trotz Legalisierung: Kaum Fortschritte bei der Nutzung von Cannabis-Therapien in Deutschland

Aktualisiert am 15.10.2024

Mit der Legalisierung von Cannabis im Jahr 2024 hofften viele Patient:innen auf einen erleichterten Zugang zu dieser alternativen Behandlungsmethode. Bereits seit 2017 darf medizinisches Cannabis in Deutschland bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen, sowie chronischen Schmerzen oder Schlafstörungen verordnet werden. Die Legalisierung sollte diesen Prozess noch weiter vereinfachen und die Verfügbarkeit verbessern. Wir haben im Rahmen einer umfassenden Untersuchung herausgefunden, dass sechs Monate nach der Legalisierung die Bereitschaft vieler Hausarztpraxen, Cannabis-Therapien anzubieten, noch immer verschwindend gering ist.

Für unsere Untersuchung kontaktierten wir jeweils 20 Allgemeinmediziner:innen in den 20 größten Städten Deutschlands. Wir fragten sie, ob sie Beratungen zur Cannabis-Therapie anbieten und ob sie bereit wären, medizinisches Cannabis zu verschreiben. Dafür schufen wir eine fiktive Patientin: Heike Jost ist 29 Jahre alt und leidet seit ihrer Schulzeit an Schlafstörungen. In der Anfrage informierten wir die Mediziner:innen darüber, dass sie in den vergangenen zehn Jahren bereits mehrere Fachärzte und -ärztinnen konsultiert und unterschiedliche Medikamente erhalten hat. Heike möchte künftig auf medizinisches Cannabis umsteigen, da herkömmliche pflanzliche Produkte wie Baldrian und Johanniskraut bislang keine Besserung ihrer Symptome bewirken konnten.

Geringe Resonanz und hohe Ablehnungsquote: Die Reaktionen der Mediziner:innen

Besonders hervorzuheben ist, dass von den 400 kontaktierten Praxen nur 23 eine positive Rückmeldung gaben, was lediglich sechs Prozent entspricht. Diese geringe Quote lässt darauf schließen, dass trotz der Legalisierung viele Ärzte und Ärztinnen noch immer Vorbehalte oder Unsicherheiten in Bezug auf die neue Behandlungsmethode haben. Insgesamt lehnten sogar 147 Arztpraxen unsere Anfrage direkt ab.

In Köln und Düsseldorf erhielten wir von insgesamt 20 angeschriebenen Arztpraxen lediglich drei positive Rückmeldungen – und diese Städte markieren damit das obere Ende unseres Rankings. In Bochum, Bonn, Leipzig und München meldeten sich jeweils zwei Praxen positiv zurück. In Städten wie Duisburg, Hamburg, Nürnberg, Stuttgart und Wuppertal blieben unsere Anfragen ganz ohne positive Resonanz. Die meisten ablehnenden Antworten erhielten wir mit elf negativen Rückmeldungen aus Dresden und Frankfurt am Main. Jeweils zehn negative Rückmeldungen bekamen wir von den Allgemeinmediziner:innen aus Berlin, Duisburg und Münster. In Bonn, Hannover und Köln lehnten jeweils acht Arztpraxen unsere Anfrage ab.

Ein weiterer beunruhigender Aspekt ist die hohe Anzahl an Praxen, die gar nicht auf unsere Anfragen reagierten: Über 230 Rückmeldungen blieben komplett aus – das sind mehr als 50 Prozent der kontaktierten Praxen. Die geringste Rückmeldequote fanden wir in Hamburg und Wuppertal, wo lediglich fünf Arztpraxen überhaupt reagierten und 15 Anfragen unbeantwortet blieben. In Nürnberg erhielten wir insgesamt sechs Antworten, während 14 Anfragen unkommentiert blieben. Auch in München, Essen, Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld blieben jeweils 13 Anfragen unbeantwortet. Die meisten Rückmeldungen erhielten wir hingegen aus Dresden und Frankfurt, mit jeweils zwölf Antworten. Es folgen Münster, Köln und Berlin, die jeweils elf Rückmeldungen aufweisen.

Unterschätzte Indikation: Cannabis-Therapie bei Schlafstörungen

In vielen Fällen wurde die Behandlung von Schlafstörungen aufgrund der derzeit geltenden Indikationskriterien ausgeschlossen. Die meisten Ärzt:innen verwiesen darauf, dass eine Cannabis-Therapie in ihrer Praxis nur bei chronischen Schmerzen, Multipler Sklerose oder schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen in Erwägung gezogen würde. Dabei scheint es weiterhin Unsicherheiten und Missverständnisse darüber zu geben, welche Erkrankungen tatsächlich für eine Cannabis-Verordnung in Betracht kommen.

Fakt ist jedoch, dass medizinisches Cannabis auch bei Schlafstörungen verschrieben werden kann. Dennoch bleibt die Zurückhaltung groß. Viele Mediziner:innen orientieren sich strikt an den etablierten Indikationskriterien, die von den Krankenkassen vorgegeben werden. Diese sehen die Verschreibung von Cannabis vor allem für schwerwiegende Erkrankungen wie Epilepsie oder Spastiken vor. Gleichzeitig herrscht bei vielen Hausärzt:innen Unsicherheit über den genauen Prozess der Antragstellung bei den Krankenkassen, was für Patient:innen, die unter Schlafstörungen leiden, zusätzliche bürokratische Hürden mit sich bringt.

Wissenslücken und bürokratische Hürden: Ein Hindernis für die Cannabis-Therapie

Allgemein äußerten viele der Mediziner:innen, dass ihnen das nötige Wissen und die Weiterbildung zur Cannabis-Therapie fehlen. Zudem hoben zahlreiche Praxen den bürokratischen Aufwand hervor, der mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen verbunden ist. In einigen Fällen herrschte auch Unsicherheit über den therapeutischen Nutzen von medizinischem Cannabis. Dies verdeutlicht, dass die Legalisierung von Cannabis allein nicht ausreicht, um eine flächendeckende Verbesserung für Patient:innen zu gewährleisten. Es besteht ein erheblicher Handlungsbedarf, um sowohl das Fachwissen der Mediziner:innen zu fördern als auch die bürokratischen Rahmenbedingungen zu optimieren, sodass die Therapieoption für eine breitere Patientengruppe zugänglich wird.

Diese Tabelle zeigt, wie viele Allgemeinmediziner:innen der 20 größten Städte Cannabis offen sind und wie viele diese Therapieform ausschließen: